Interview JungeWelt: „Es zeigt sich: Die Strategie ist perfide“

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Freihandelsabkommen ist laut Linkspartei eine Gefahr für Demokratie wie Verbraucher- und Umweltschutz. Ein Gespräch mit Klaus Ernst.

Interview: Markus Bernhardt

Zur Zeit findet im US-amerikanischen Arlington (Virginia) die fünfte Verhandlungsrunde für ein Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA statt. Die Verhandlungen sind geheim, Details sind der Öffentlichkeit nicht bekannt. Warum diese Geheimniskrämerei?

EU-Handelskommissar Karel De Gucht argumentiert, daß man zur Stärkung der eigenen Position dem Verhandlungspartner nicht sofort alle Karten offenlegen darf. Das ist angesichts des NSA-Skandals ein lächerlicher Einwand. Ich bin mir sicher, daß die US-Seite detailliert über die europäische Verhandlungsposition Bescheid weiß.

Nur die Menschen nicht, denen soll offensichtlich etwas gegen ihren Willen untergejubelt werden. US-Chefunterhändler Froman verteidigte die Geheimhaltung jüngst mit den Worten, das würde schon immer so gemacht. Es braucht also noch einiges an öffentlichem Druck, damit die Verantwortlichen wirklich anfangen umzudenken.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) selbst hat Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen zur Schlüsselfrage für das Zustandekommen des Freihandelsabkommens erklärt. Welche Aktivitäten erwarten Sie nun von der Regierung?

Ich erwarte, daß Taten folgen. Jeder weiß, daß in der EU nichts gegen den Willen Deutschlands geschieht. Dennoch ist das Verhandlungsmandat noch immer nicht veröffentlicht worden. Wie ernst es Gabriel mit der Forderung nach Transparenz ist, wird sich demnächst an seinem Umgang mit den Vertragstexten des europäisch-kanadischen Wirtschaftsabkommens CETA zeigen. Es gilt als Blaupause für das TTIP und ist nahezu fertig verhandelt. Vor der Paraphierung der Vertragstexte bekommen die Mitgliedstaaten diese zur Durchsicht. Das ist der Moment, wo Gabriel dem Bundestag und der breiten Öffentlichkeit Zugang gewähren muß. Ein entsprechender Antrag der Linksfraktion wird am heutigen Donnerstag im Plenum verhandelt. Ich bin gespannt, wie sich die große Koalition dazu verhält.

Kritiker des Abkommens fürchten eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes. Inwiefern sind diese Ängste berechtigt?

Angesichts immer größer werdenden Widerstandes kann es sich die EU-Kommission zwar nicht leisten, Hormonfleisch, Chlorhühnchen und Genfood auf den europäischen Markt zu lassen. Doch das ausdrückliche Ziel des Abkommens lautet, »unnötige regulatorische Handelshemmnisse« zu beseitigen. Die Frage ist, welche sind unnötig, und wer entscheidet das?

EU und USA haben unterschiedliche Traditionen. In Europa gilt das Vorsorge-Prinzip: Nur was unbedenklich ist, wird zugelassen. In den USA hingegen darf eine Ware so lange auf den Markt, wie nicht ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Ich sehe nicht, wie das in der Praxis geregelt werden kann, ohne daß Standards unterlaufen werden. Für kommende Vorhaben sieht das Abkommen einen Regulierungsrat vor, der diese vorab auf Übereinstimmung mit dem TTIP prüfen soll. Details sind noch nicht bekannt. Ein Vorschlag ist, daß europäische und amerikanische Unternehmen mit am Tisch sitzen und etwa über zukünftige Verbraucherschutzvorhaben mitentscheiden.

Es zeigt sich: Die Strategie ist perfide. Über zunächst harmlos wirkende formale Verfahren sollen Unternehmen weitreichenden Einfluß auf die Ausgestaltung der Gesetze bekommen. Dazu gehört auch und vor allem das geplante Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS). Dahinter versteckt sich dem Juristen und Journalisten Heribert Prantl zufolge »einer der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen Rechts- und Sozialstaaten, die es je gegeben hat«. Staaten können so von Konzernen auf Schadensersatz verklagt werden, wenn die nationale Gesetzgebung deren Gewinne schmälert.

Ihre Fraktion lehnt das TTIP ab. Welche Folgen hätte es, wenn das Freihandelsabkommen tatsächlich gestoppt würde?

Die Linke lehnt TTIP und CETA unmißverständlich ab. Wir sehen in TTIP keinerlei Grundlage, progressive Spielregeln für die Weltwirtschaft zu schaffen. Ein Verhandlungsstopp wäre ein starkes Zeichen für die Demokratie. Die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile, die, wenn überhaupt, minimal sind, stehen in keinem Verhältnis zu den Gefahren für Demokratie, Verbraucher- und Umweltschutz. Aktuell muß es darum gehen, CETA zu stoppen, um TTIP zu verhindern. Dafür braucht es ein breites parlamentarisches und außerparlamentarisches Bündnis.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2014/05-22/053.php