Streik ist ein Grundrecht, zumindest in Demokratien

Klaus Ernst

Ja, es ist macht keinen Spaß, an zügigen Bahnhöfen zu stehen, weil der Zug nicht fährt. Es ist auch ärgerlich, wenn die Post nicht pünktlich kommt, die Kita geschlossen bleibt oder der Geldautomat kein Bargeld mehr ausspuckt. Aber auch für die Streikenden ist ein Streik kein Vergnügen. Er bedeutet Lohneinbußen und unangenehme Diskussionen in der Öffentlichkeit, oft auch im Kreis der Freunde und Familien. Über jedem Streik schwebt die Frage: Was wird am Ende des Arbeitskampfes stehen? Auch bleibt immer das Risiko, beim Arbeitgeber in Ungnade zu fallen, vielleicht sogar seinen Job zu verlieren. Warum also das Ganze?

Welche Möglichkeiten haben Beschäftigte, ihre Forderungen nach Beteiligung am Ergebnis des Betriebs, also eine entsprechende Bezahlung, durchzusetzen, wenn der Arbeitgeber schlichtweg nicht zahlen will? Wie sollen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen die Verschlechterung ihrer betrieblichen Altersregelung wehren, wenn sie der Arbeitgeber einfach durchführt? Wie sollen Tarifverträge erreicht werden, wenn Arbeitgeber sich einfach weigern, welche zu unterschreiben?

Ein Streik ist die letzte Möglichkeit abhängig Beschäftigter, ihre Interessen wirksam vertreten zu können. Er setzt voraus, dass eine große Mehrheit der gewerkschaftlich Organisierten sich in einer Urabstimmung für den Streik aussprechen.

Die Bundesregierung gibt sich gerne als Verteidigerin der Tarifautonomie. Die Tarifautonomie, also das Zustandekommen von Tarifverträgen, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden, funktioniert aber nur, wenn damit auch das Recht auf Streik verbunden ist. Doch „Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik wären nicht mehr als kollektives Betteln“, hat schon das Bundesarbeitsgericht festgestellt.

Jetzt plant die Bundesregierung die Einschränkung des Streikrechts. Führende Juristen des Arbeitsrechts, aber auch Verfassungsrechtler halten das für grundgesetzwidrig. Wir auch. Das Streikrecht einzuschränken, fördert die Tarifautonomie nicht, sie schwächt eine Seite – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist offensichtlich auch der Sinn dieses Gesetzes. In der CDU/CSU wird bereits darüber diskutiert, für Bereiche der Daseinsvorsorge, die relativ beliebig definiert werden kann, das Streikrecht weiter einzuschränken.

Wird und wurde nicht in der Bundesrepublik Deutschland darauf hingewiesen, dass es in jenen Ländern, in denen es kein Recht auf Streik gibt oder ein solches nur auf dem Papier steht, ein Demokratie-Defizit gibt? Ist nicht das Recht auf Streik ein Grundrecht jeder Demokratie und deshalb auch in unserer Verfassung als solches verankert?

Ja, ein Streik ist für viele oft unangenehm. Aber solche Unannehmlichkeiten sind in einer Demokratie hinzunehmen. Deshalb hat Jakob Augstein recht, wenn er in einer Kolumne zum Bahnstreik festgestellt hat: „Wem das nicht passt, sollte den Umzug nach China erwägen“. Nordkorea wäre auch eine Alternative.