Investor-Staat Schiedsverfahren in TTIP und CETA: Gabriel wirft Nebelkerzen

Der Kurs von Bundeswirtschaftsminister Gabriel bei den Freihandelsabkommen TTIP und CETA erinnert an den Film „The Fog – Nebel des Grauens“. Statt klar und deutlich zu Schiedsgerichten „NEIN“ zu sagen, wie es der SPD-Konvent im September beschlossen hat, stellt Herr Gabriel nun einen Internationalen Handelsgerichtshof in Aussicht. In der Praxis spielt diese Idee weder für CETA noch für TTIP eine Rolle. Glaubwürdig wäre nur, wenn der Wirtschaftsminister klar und unmissverständlich sagen: Private Schiedsgerichte wird es mit uns nicht geben. Wir werden weder das real existierende CETA ratifizieren noch die TTIP-Verhandlungen auf der Basis des existierenden Verhandlungsmandats weiter mittragen. Genau auf diese Aussage käme es an, genau das wollen wir mit unserem Antrag.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute abermals eine Debatte über die Handelsabkommen; das wird sicherlich nicht die letzte sein. Warum? Wir wollen endlich eine deutsche Übersetzung des CETA-Vertragstextes. Sie liegt immer noch nicht vor. Wir wollen klargestellt haben, dass der Deutsche Bundestag bei der Ratifizierung aller Abkommen einbezogen wird. Das ist nach wie vor unklar. Wir wollen keine vorläufige Anwendung der Abkommen. Vor allen Dingen wünschen wir uns, meine Damen und Herren, endlich einmal Klarheit, wie nun eigentlich die Position der SPD in dieser Frage ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sind Sie nun gegen private Schiedsgerichte, oder sind Sie dafür? Unterzeichnen Sie die Abkommen auch dann, wenn Schiedsverfahren beinhaltet sind? Was ist eigentlich die Position des Wirtschaftsministers in dieser Frage? Noch im Herbst letzten Jahres – ich möchte das zitieren – erklärte er:

Wenn die Amerikaner erklären, wir wollen ein Investitionsschutzabkommen, das in der Lage wäre, deutsches Recht auszuhebeln, dann gibt es ein solches Freihandelsabkommen nicht.

Selbstverständlich hebeln Schiedsgerichte nationales Recht aus. Nur Unternehmen können vor Schiedsgerichten klagen. Der normale Bürger hat diese Möglichkeit nicht. Die Unternehmen können Schadensersatz in Milliardenhöhe fordern. Eigentlich müsste aufgrund dieser Aussage die Haltung der sozialdemokratischen Partei, auch die Haltung des Ministers klar sein. Sie müsste lauten: Ich stimme keinem Abkommen zu, in dem Investorenschutzabkommen enthalten sind. – Das haben Sie auch auf Ihrem Konvent beschlossen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Nun höre ich, meine Damen und Herren, aus Davos – darüber bin ich wirklich erschüttert und enttäuscht -, dass dort von unserem Wirtschaftsminister die Aussage getroffen wurde, in Deutschland sei die Debatte zu den Handelsabkommen deshalb so schwierig, weil die Deutschen – ich zitiere – „reich und hysterisch“ seien.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was von beidem sind wir denn nicht?)

Meine Damen und Herren, was ist das denn? Wo ist denn der Herr Pfeiffer? – Da unten sitzt er. Das ist ja fast Ihr Niveau.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Ich muss sagen: Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister auf diesen Zug aufspringt und von einer „Empörungsindustrie“ spricht. Es tut mir leid, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wirtschaftsminister unseres Landes nicht mehr die Vorbehalte der Bevölkerung aufgreift und nicht mehr ihre Interessen vertritt. Er ist inzwischen der Treiber von CETA und TTIP, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt klar und deutlich Nein zu den Schiedsgerichten zu sagen, haben Sie nun eine neue Idee entwickelt: Internationale Handelsgerichtshöfe sollen die Probleme lösen; das ist eine nette Idee. Frau Malmström hat auch schon gesagt: Das wird so schnell nicht gehen. – Jeder weiß, dass sie in der Praxis bei TTIP und CETA keine Rolle spielen werden; denn es dauert eine Weile, bis man einen internationalen Handelsgerichtshof eingerichtet hat . Bevor wir einen solchen internationalen Handelsgerichtshof haben, wird sogar der Flughafen in Berlin fertig.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Hören Sie also auf, Nebelkerzen zu werfen!

Petra Pinzler von der Zeit schreibt zu Recht ‑ ich möchte das zitieren; das ist eigentlich eine Frage an den Wirtschaftsminister ‑:

Ist es wirklich nötig, dass so viele Leute auf einmal so viel Energie auf die Reform eines Systems verwenden, das Sie bis vor Kurzem beim Umgang mit Kanada oder den USA eigentlich überflüssig fanden? Ein klares Nein könnte so viel einfacher sein.

Dieses klare Nein erwarten wir auch von Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Glaubwürdig wären Sie nur, wenn Sie klar und unmissverständlich sagen würden: Private Schiedsgerichte wird es mit uns nicht geben! Wir werden weder das real existierende CETA ratifizieren noch die TTIP-Verhandlungen auf der Basis des existierenden Verhandlungsmandats fortsetzen, in dem die Einsetzung von Schiedsgerichten vorgesehen ist. ‑ Auf solche Aussagen käme es an, aber genau um diesen Aussagen drücken Sie sich.

Es ist alles schwammig. Sie sagen, dass Deutschland dem Abkommen zustimmen wird, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Das ist eine besonders witzige Aussage; denn Fakt ist, dass selbst Ihr Parteifreund Bernd Lange, Vorsitzender des EU-Handelsausschusses, davor warnt, dass es im Europäischen Parlament gar keine Mehrheit für den vorliegenden CETA-Text geben könnte. Obwohl die eigenen Leute und auch das Europäische Parlament möglicherweise nicht zustimmen werden, sagen Sie: Wir stimmen zu, wenn alle anderen zustimmen. – Aber es stimmen nicht alle anderen zu! Ein Nein wäre also gerechtfertigt. Die Österreicher leisten massiven Widerstand. Der Senat in Frankreich hat eine entsprechende Resolution beschlossen. In vielen anderen Ländern der Welt wird diese Diskussion sehr kritisch geführt. Aber Sie werfen hier Nebelkerzen, indem sie behaupten: Die anderen stimmen zu.

Eine weitere Nebelkerze ‑ das ist sehr bemerkenswert ‑ ist das Argument: Wenn wir uns nicht beteiligen, wenn wir nicht mitmachen, dann setzen die anderen, die Chinesen und die Amerikaner, die Standards. – Mein Gott, was ist denn das für Panikmache!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Mark Hauptmann (CDU/CSU): Nein! Das ist einfach wahr!)

‑ Das ist pure Panikmache, und ich sage Ihnen auch, warum.

(Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sie machen Panik, Herr Ernst!)

Im europäischen Wirtschaftsraum leben 500 Millionen Menschen. Glauben Sie wirklich, dass die Asiaten und die Amerikaner mit uns keinen Handel mehr treiben wollen, wenn wir uns nicht an diesen Verfahren beteiligen? Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen – wenn Sie schon dazwischenrufen -, dass wir auch ohne Abkommen Handel mit ihnen treiben? Sie verschließen sich vor der Realität; das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung der Kollegin Haßelmann?

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Ja, freilich.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das habe ich mir gedacht.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ‑ Lieber Kollege Ernst, vielen Dank für die Möglichkeit einer kurzen Intervention. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich mit mir einig darüber sind, dass es eine Unverschämtheit ist, dass der Minister Gabriel heute bei dieser Debatte, Freitag, um 11.20 Uhr, nicht anwesend ist, obwohl jeder weiß, was für ein bedeutendes Thema das ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich werde jetzt ‑ obwohl wir, Linke und Grüne, im Saal objektiv eine Mehrheit haben ‑ keinen Minister herbeizitieren; denn dann würde die Sitzung unterbrochen und ein Hammelsprung durchgeführt und eine Mehrheit organisiert werden. Zum einen ist festzuhalten: Bei der heutigen Debatte sind die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD hier im Plenarsaal eindeutig in der Minderheit. Das muss man deutlich feststellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zum Zweiten ist es eine Unverschämtheit, dass Gabriel heute nicht da ist, aber öffentlich und auch gegenüber seiner Partei immer wieder so tut, als sei es für ihn ein wichtiges Thema. Das sehen Sie doch sicher auch so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Auch ich hätte mir gewünscht, dass der Minister an dieser Sitzung teilnimmt, zumal es in dieser Debatte um seine Aussagen geht, die zurzeit in der Öffentlichkeit kursieren.

(Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Er hat sie schon fünfmal erklärt, aber Sie kapieren es nicht! Sie wollen es nicht kapieren!)

Ich habe seine Aussagen als sehr unglücklich empfunden; ich sage das einmal mit aller Vorsicht. Ich kann darin den Versuch erkennen, die Leute, die sich wirklich sehr aktiv gegen diese Handelsabkommen stellen, als ein bisschen hysterisch oder nicht ganz sauber und ihren Widerstand gegen TTIP als Teil der Empörungsindustrie darzustellen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass der Minister hier anwesend ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte das Thema, bei dem ich vorhin war, noch einmal aufgreifen, weil das wirklich sehr wichtig ist. Entstehen in Deutschland und in Europa wirklich Riesenprobleme, wenn wir bei diesem Abkommen nicht dabei sind? Ich glaube das nicht. Wir werden weiter nach Amerika liefern, weil unsere Produkte dort auch dann verkauft werden, wenn die Standards bei uns höher sind, und wir werden weiterhin Produkte von anderen kaufen, wenn sie den bei uns gültigen, vernünftigen Standards entsprechen, sonst nicht. Auf keinen Fall wird ein Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet, wenn wir uns hier nicht beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Übrigen geht es bei diesem Abkommen nicht um die Absicherung guter Standards, sondern es geht um die Absenkung von Standards. Es geht um Deregulierung und um Liberalisierung. Die Verhandlungsmandate und die Texte zeigen dies. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel dafür geben. Bei CETA kann man lesen ‑ ich zitiere ‑: Das Abkommen soll von vornherein im Prinzip möglichst viele Verpflichtungen zur vollständigen Liberalisierung auch von Umweltprodukten und Dienstleistungen enthalten. ‑ Da geht doch nicht um verbesserte Standards. In CETA lese ich etwas von regulatorischer Kooperation. Damit ist gemeint, dass kein Gesetz und keine Verbraucherschutzregelung mehr von einem Parlament erlassen werden kann, ohne dass auch der Handelspartner damit einverstanden ist. Eine größere Entmachtung deutscher und europäischer Parlamente kann ich mir gar nicht vorstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Positionspapier der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ‑ darauf möchte ich noch eingehen ‑ weist darauf hin, dass selbst die gegenseitige Anerkennung von technischen Standards in den USA und bei uns sehr problematisch ist, so zum Beispiel bei den unterschiedlichen Regelungen für die Zulassung von Atemschutzmasken. Ich kann Ihnen dieses Detail nicht ersparen, weil der Teufel im Detail steckt. Dort heißt es ‑ ich zitiere wörtlich ‑:

Würden jedoch US-amerikanische Masken ohne Drittprüfung in der EU in Verkehr gebracht und Verwender die fehlende Drittprüfung auf Dichtheit nicht erkennen können, kann dies tödliche Folgen nach sich ziehen.

So weit diese Institution.

Wer keine Schiedsgerichte will, muss CETA ablehnen, weil er sie sonst, bei einem Abkommen mit den USA, nicht mehr loswird.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dirk Becker (SPD): Das ist doch Blödsinn!)

Deshalb wollen wir eine klare Haltung. Haben Sie eigentlich einmal den Film The Fog ‑ Nebel des Grauens gesehen?

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Wir müssen ja immer Ihre Reden hören! ‑ Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sie sind der Nebel des Grauens! Sie sind der Hauptakteur des Films!)

Genau diese Nebelkerzen werfen Sie und Ihr Wirtschaftsminister in diesem Hause. Hören Sie auf mit diesem Grauen! Machen Sie im Interesse der Bürger eine andere Politik!

Ich danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN)