Gesetzliche Tarifeinheit: Verfassungswidrig und überflüssig wie ein Kropf
Gesetzliche Tarifeinheit: Verfassungswidrig und überflüssig wie ein Kropf

Gesetzliche Tarifeinheit: Verfassungswidrig und überflüssig wie ein Kropf

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Nahles, Sie legen hier ein Gesetz vor, das eigentlich keiner mehr will. Ich habe den Eindruck, Ihnen wäre es am liebsten, Sie müssten es nicht mehr wollen.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Die IG Metall schon!)

– Im Übrigen auch die IG Metall nicht mehr. Schauen Sie sich einmal die Basis an und nicht nur die Aussage von zwei Personen.

Überflüssig wie ein Kropf: Warum?

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Der Ernst sucht sich aus, was ihm passt!)

Ich kann es Ihnen sagen: überflüssig, weil die bundesrepublikanischen Arbeitnehmer sowieso so gut wie kaum streiken. Ich sage immer gern: Es gibt nur noch zwei Länder, die noch seltener streiken als wir: die Schweiz und der Vatikanstaat. Wir haben kein Problem mit zu vielen Streiks.

(Beifall bei der LINKEN)

Es besteht damit im Übrigen auch keine Notwendigkeit, sie einzuschränken.

Darauf sind Sie kaum eingegangen, Frau Nahles. Streik ist ein Grundrecht, das durch Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert wird; ich will jetzt nicht daraus zitieren. Sie machen die Aussage, Sie greifen nicht in dieses Grundrecht ein. Das ist nun wirklich ‑ ich kann es nicht anders sagen ‑ eine totale Augenwischerei. Auch das wissen Sie selber. Natürlich greifen Sie in das Streikrecht ein, nämlich dann, wenn zwei Tarifverträge in einem Betrieb zur Anwendung kommen ‑ übrigens nicht bei derselben Personengruppe, weil Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz ja immer nur für die Mitglieder der tarifvertragschließenden Partei gelten und nicht für andere. Jetzt sagen Sie: Es gilt nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die die größere ist. – Dann soll die andere Gewerkschaft nicht davon betroffen sein? Natürlich ist das ein Eingriff in das Streikrecht, denn die andere Gewerkschaft kann keinen Streik mehr führen. Ein Streik wäre sinnlos, weil der Tarifvertrag nicht mehr gelten würde. Eine größere Einschränkung des Streikrechts kann es eigentlich nicht geben, da könnten Sie nur noch die Gewerkschaften verbieten, Frau Nahles.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die Wahrheit. Das sagen nicht nur wir, sondern auch andere.

Ich will es einmal in ein Bild kleiden. Sie sind bei einem Formel-1-Rennen. Sie sagen keinem Fahrer, egal ob er klein oder groß ist, dass er nicht mehr mitfahren darf. Aber wenn ein kleiner Fahrer dann die Ziellinie erreicht, wird seine Leistung nicht gewertet, weil in einem anderen Auto jemand sitzt, der größer ist. Macht es da noch Sinn, dass er bei dem Autorennen mitfährt?

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): So ein dummer Vergleich!)

Nein, es macht keinen Sinn mehr. Genauso wenig macht es für eine Gewerkschaft Sinn, zu streiken, wenn sie weiß, dass das Ziel dieses Streiks, der Tarifvertrag, schlichtweg nicht mehr gilt.

Im Übrigen, Frau Nahles – auch das wissen Sie; ich werfe Ihnen vor, dass Sie es bewusst nicht erzählen -, wissen Sie genau, dass ein Streik vor jedem Gericht für unzulässig erklärt werden kann, wenn er nicht der Erzielung eines Tarifvertrags gilt. Das ist die Rechtsprechung. Jetzt planen Sie hier eine Regelung, die dazu führt, dass eine kleine Gewerkschaft nicht mehr streiken kann bzw. jeder Streik für illegal erklärt werden kann, weil ein Streik bei einer kleinen Gewerkschaften ja nicht mehr der Erzielung eines Tarifvertrags dient. Sie greifen in das Streikrecht ein. Ich sage Ihnen, Frau Nahles: Sie machen das Streikrecht für die kleinen Gewerkschaften kaputt und damit auch die kleinen Gewerkschaften. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sehen nicht nur wir so. Sie haben inzwischen immer weniger Freunde. Professor Däubler, ein Arbeitsrechtler, kommt zu dem Ergebnis – ich zitiere -:

Der faktische Entzug des Rechts, Tarifverträge abzuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu führen, stellt einen denkbar weitreichenden Eingriff dar, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot übertroffen werden könnte.

So weit Herr Professor Däubler. – Zu demselben Ergebnis kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.

Frau Nahles, schauen wir einmal zu Ihrem Koalitionspartner. Herr Professor Dr. Zimmer, ich muss wirklich sagen, ich habe einen Heidenrespekt vor Ihnen und Ihrer Klarheit. Sie haben gesagt, es könne nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken nicht zur Kenntnis zu nehmen oder wissentlich ein verfassungsrechtlich defizitäres Gesetz aus politischen Gründen zu verabschieden. Da haben Sie recht. Da haben Sie unsere volle Zustimmung, Herr Zimmer.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebenfalls liegt mir ein Schreiben des Marburger Bunds und der Vereinigung Cockpit vor. Der Vorsitzende des Marburger Bunds, Rudolf Henke, ist ebenfalls Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er kann dieses Gesetz wohl auch nicht befürworten, weil er der Auffassung ist, dass es Unsinn ist. Ähnlich sieht es Herr Matthäus Strebl. Mir liegt ein Brief vor, den er als Vorsitzender einer Gewerkschaft an die Abgeordneten geschrieben hat. In dem Brief steht, dass er das Gesetz ablehnt. Frau Nahles, Sie haben keine Freunde mehr in dieser Frage.

Ich möchte mit einem Hinweis schließen, den uns der von mir sehr geschätzte Herr Augstein auf Spiegel Online gegeben hat. Er hat geschrieben: Wem das Streikrecht nicht passt, der soll überlegen, möglicherweise nach China zu ziehen. – Das ist das Problem, das wir hier haben. Dort sind Streiks verboten, jedenfalls sind sie nicht zulässig. In einer Demokratie müssen sie erlaubt sein und gehören gestärkt und nicht geschliffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wo ist das Problem?)

Schreibe einen Kommentar