Rede: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dürfen keine leeren Worte sein

Der vorgelegte Antrag der Koalition hält in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und Freiheit hoch. Das ist richtig – aber diese Werte müssen auch in der Praxis mit Leben erfüllt werden und bei konkreten Vorgängen – wie der Ausspähaffäre – verteidigt werden. Diese berechtigte Kritik hat im Übrigen nichts mit Antiamerikanismus zu tun. Auch die Abkommen TTIP und CETA gefährden die zentralen Werte Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – über die Investor-Staat-Schiedsgerichte, die regulatorische Kooperation und nicht zuletzt über die vorläufige Anwendung. Deshalb müssen sie abgelehnt werden.

Die Rede im Wortlaut:

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte zeigt – und das ist unbestritten -, dass ein Amerika in der Form nicht existiert, sondern dass es Licht und Schatten gibt. Das Problem ist: Wie reagiert unsere Bevölkerung auf Vorgänge, die die Debatte in den letzten Monaten und Jahren belastet haben? Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Beziehungen zu den Vereinten Staaten von Amerika auf gemeinsamen Werten – ich zitiere -,

auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Marktwirtschaft und Respekt vor dem Individuum gründen.

(Peter Beyer (CDU/CSU): So sieht es aus!)

– So sieht es aus, aber leider nicht immer in der Praxis.

Amerika hat eben zwei Seiten. Das ist in den Reden, die wir hier gehört haben und denen ich nur zustimmen kann, deutlich zum Ausdruck gekommen. Nur: Wenn wir selber nicht versuchen, in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten diese Werte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, hochzuhalten und zu verteidigen, auch wenn Dinge passieren, die wir nicht wollen, dann wird die Bevölkerung eher ein negatives Bild von Amerika und übrigens auch von uns selber erhalten.

Ich frage mich nach wie vor: Welche Konsequenzen wurden eigentlich aus dem Abhörskandal – die Kanzlerin wurde ja nun abgehört, das ist bekannt – gezogen? Inwieweit sind wir tatsächlich bereit, die Werte, auf die wir uns beziehen und die Sie in Ihrem Antrag hervorheben, zu verteidigen, auch im Verhältnis zu den USA?

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wenn jemand sagt: „Das ist nicht in Ordnung, dass wir das nicht tun“, dass wir als Europäer zu unterwürfig seien, dann kommt der Vorwurf des Antiamerikanismus. Dabei bezieht sich die Kritik auf sehr konkrete Vorgänge, durch die diese Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Sie in den Vordergrund stellen, verteidigt werden sollen. Insofern möchte ich den Vorwurf des Antiamerikanismus in dieser Debatte mit aller Schärfe zurückweisen. Es gibt Kritik, die ist berechtigt, und das ist kein Antiamerikanismus.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Warum gibt es die gegen Russland eigentlich nicht?)

Meine Damen und Herren, ich erinnere an die McCarthy-Zeit in Amerika, in der Chaplin und andere vor einen Ausschuss für antiamerikanische Umtriebe gezerrt wurden. Ich habe durch diesen Vorwurf des Antiamerikanismus den Eindruck, einige wollen die McCarthy-Zeit in Europa wieder einführen. Bitte, das brauchen wir nicht, das ist nicht notwendig, und das können wir lassen.

(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer (CDU/CSU): Das ist ja Unsinn, was Sie erzählen!)

Jetzt kommen wir zu den zentralen Werten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, und dann komme ich, Herr Steinbrück, auch auf die von Ihnen erwähnten Abkommen mit den USA und Kanada. Die Verhandlungen finden und fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, übrigens auch weitgehend unter Ausschluss der Abgeordneten, und zwar bis heute. Ich frage mich, wo da die Grundlagen dieser transatlantischen Freundschaft, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind. Zur Demokratie gehört eben auch Transparenz, und die haben Sie nicht hergestellt.

(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer (CDU/CSU): Das hat damit nichts zu tun!)

Nach wie vor sind Schiedsgerichte vorgesehen. Der Deutsche Richterbund sagt: Die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen und Rechtsgesuche ist der falsche Weg und rechtlich nicht akzeptabel. – Meine Damen und Herren, auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Im Übrigen: Bei den Abkommen sind besondere Gremien vorgesehen, die an den Entscheidungen der Parlamente vorbei Regelungen setzen können, die völkerrechtlich verbindlich sind. Auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.

Die Entscheidung, dass man CETA und TTIP vorläufig in Kraft setzt, also bevor Parlamente darüber bei der Behandlung eines entsprechenden Gesetzes überhaupt debattiert haben, wertet Wolfgang Weiß, Professor Dr. Wolfgang Weiß, folgendermaßen. Er sagt: Es ist verfassungsrechtlich und demokratiepolitisch unakzeptabel, dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den Parlamenten vorbei erfolgt. – Meine Damen und Herren, auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie hier praktizieren, oder das, was Sie hier versuchen zu praktizieren, nämlich ein Gebilde auf vernünftige Werte zu beziehen, während diese Werte in der Praxis, insbesondere im Zusammenhang mit den Handelsabkommen, der Realität nicht standhalten, führt dazu, dass sich Bürgerinnen und Bürger wehren und dass sie – meines Erachtens ist das eigentlich nicht richtig – das Verhältnis der Europäer zu den USA generell infrage stellen.

Diese Handelsabkommen nützen nicht den Bürgern in den USA, sie nützen nicht den Bürgern in Europa.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist für die absolute Minderheit, was Sie da sagen!)

Deswegen werden sie abgelehnt, und deshalb traut sich auch kein Präsidentschaftskandidat in Amerika, gegenwärtig im Wahlkampf für diese Handelsabkommen einzutreten. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen und diesen Unfug lassen.

Ich danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN)