Die SPD nickt trotz zahlreicher Proteste Gabriels Ceta-Kurs ab. Ändern wolle man im Nachhinein. Das ist die falsche Reihenfolge.
Gastbeitrag von Linken-Politiker Klaus Ernst.
Am 17. September haben 320 000 Menschen in sieben Großstädten in Deutschland gegen TTIP und Ceta demonstriert. Zwei Tage später stimmte der SPD-Konvent trotz der Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kommt, mehrheitlich Sigmar Gabriels Pro-Ceta-Kurs zu. Der Bundeswirtschaftsminister wird nun im EU-Ministerrat Ja zu Ceta sagen, obwohl das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen auch laut SPD an einigen Stellen nachgebessert werden muss. Die Verbesserungen sollen hinterher realisiert werden.
Das ist die falsche Reihenfolge! Eine Zustimmung im Ministerrat macht „die Sache kaum noch gestaltbar und rückholbar (…)“, sagt auch Klaus Barthel von der SPD. Doch die SPD begründet ihren Kurs damit, dass so das parlamentarische Verfahren eröffnet werde. In Möchtegern-Gabriel-Manier sagte Hubertus Heil (SPD) im Plenum: „Seien Sie ein bisschen mutiger, was Parlamente betrifft. Das ist jetzt die Stunde der Parlamente.“ Will heißen: Gabriel und seine Gefolgsleute meinen die notwendigen Verbesserungen „im parlamentarischen Verfahren“ herbeiführen zu können und schieben so gekonnt die Verantwortung ab – auf das Europaparlament, in dem die Mehrheit bekanntermaßen nicht von den Sozialdemokraten gestellt wird.
Wie genau die parlamentarischen Korrekturarbeiten ablaufen sollen, ist ziemlich unklar – insbesondere weil bereits weite Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden sollen, also vor der Abstimmung in den nationalen Parlamenten. Das Europäische Parlament wird zwar vor Inkrafttreten der vorläufigen Anwendung über Ceta abstimmen, hat aber zur vorläufigen Anwendung direkt nichts zu sagen.
Ceta wird vorläufig so angewendet werden, wie es alleine der Rat beschließt, warnt der Völkerrechtler Wolfgang Weiß von der Universität Speyer. Bis zum endgültigen Inkrafttreten könnten viele Jahre vergehen, „Präzisierungen, Klarstellungen oder Änderungen, die sich auf die Teile des Ceta beziehen, die demgemäß vorläufig angewendet werden, würden daher erst mit jahrelanger Verspätung greifen.“
Dass der SPD-Konvent nicht wenigstens klar Position gegen die vorläufige Anwendung bezogen hat, ist eine Täuschung der eigenen Partei. Selbst ihre Grundwertekommission schreibt: „Schon wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses Abkommens und den weiter bestehenden Unklarheiten im Abkommen, die weiterer Prüfung bedürfen, wäre eine Aussetzung des vorläufigen Inkrafttretens sachlich betrachtet erforderlich und ein Akt politischer Klugheit.“ Einerseits über die vorläufige Anwendung Fakten zu schaffen und andererseits einen Nachbesserungsprozess anstoßen zu wollen, passt nicht zusammen.
Vertragstext soll nicht angetastet werden
Gleichzeitig zum parlamentarischen Verfahren soll es eine Auslegungserklärung von EU-Kommission und kanadischer Regierung geben. Sie soll verbindliche Klarstellungen bringen, ist aber laut kanadischer Handelsministerin Chrystia Freeland nicht mehr als eine Orientierungshilfe bei der Interpretation des Abkommens. Ob die Klarstellungen noch vor der Unterschrift im Ministerrat zustande kommen und sich damit schon bei der vorläufigen Anwendung niederschlagen, bleibt abzuwarten. Gabriel will auch hier keinesfalls im Weg sein: Im Beschluss des SPD-Konvents heißt es vorsorglich „möglichst vor Beschlussfassung im Ministerrat“. Wenn also nicht, ist es auch recht!
Größere Änderungen wird es dadurch ohnehin nicht geben: Sowohl die EU-Kommission als auch die kanadische Seite haben bekundet, dass sie den Vertragstext nicht mehr antasten werden. In einer gemeinsamen Erklärung von Freeland und Gabriel werden etwa Konkretisierungen zur Unabhängigkeit der Richter bei den Investor-Staat-Schiedsverfahren und die ausdrückliche Ermöglichung von Rekommunalisierungen genannt. Außerdem heißt es weiter: „Wir haben uns auch die im Nachhaltigkeitskapitel enthaltenen Streitbeilegungsbestimmungen angesehen und vereinbart, weitere Untersuchungen zu unterstützen, um so herauszufinden, ob weitere Verbesserungen ratsam sind.“ Und: „Wir sind auch der Ansicht, dass die in Ceta enthaltenen Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen das Recht der Vertragsparteien, Arbeits- und Sozialaspekte in ihre Beschaffungsverfahren zu integrieren, achten sollten und wären hier über eine Präzisierung dankbar.“
Harte Forderungen sehen anders aus! Die Forderungen, die der SPD-Konvent im Beschluss seinem Ja zu Gabriels Ceta-Kurs hinterhergeschoben hat, werden hier noch weiter abgeschwächt. Frau Freeland lässt zu diesen wissen: „Die hören wir uns an. Aber Ceta ist keine bilaterale Angelegenheit zwischen Kanada und Deutschland, sondern zwischen Kanada und der EU. Meine erste Verhandlungspartnerin ist Handelskommissarin Cecilia Malmström.“
Genau das ist der Punkt. Was die EU-Kommission und die kanadische Regierung auf Drängen von Gabriel noch an verbindlichen Protokollerklärungen abgeben werden, wird mitnichten die substanziellen Probleme des Abkommens lösen – und auch nicht den Kriterien der SPD-Genossen genügen. Doch das Zepter hat die SPD dann schon aus der Hand gegeben. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Die Zustimmung seiner Parteibasis erkauft sich Gabriel mit einem Versprechen, das er womöglich nie wird einlösen können (…) Das wird sich erst weisen, wenn es Gabriel lange nicht mehr schert.“
Es bleibt zu hoffen, dass Wirtschaftsminister aus anderen EU-Ländern standhafter sind – oder den Verfassungsklagen und dem von meiner Fraktion im Bundestag angestrengten Organstreit stattgegeben und Ceta so gestoppt wird.
Online unter: http://www.fr-online.de/gastbeitraege/handelsabkommen-sigmar-gabriels-falsche-ceta-strategie,29976308,34839046.html