Rede zu Protokoll zum europäischen Dienstleistungspaket: Beschäftigte und Selbständige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden
Rede zu Protokoll zum europäischen Dienstleistungspaket: Beschäftigte und Selbständige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden

Rede zu Protokoll zum europäischen Dienstleistungspaket: Beschäftigte und Selbständige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden

Meine Rede im Wortlaut:

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,

manche Vorschläge der EU-Kommission sind so absurd, dass man sich fragt, ob denn schon der erste April ist. So zum Beispiel das im Januar 2017 vorgelegte Dienstleistungspaket. Mit diesem Paket möchte die EU-Kommission den grenzüberschreitenden Dienstleistungsaustausch fördern und Hemmnisse weiter abbauen. Wie rigoros dabei angebliche „Hemmnisse“ abgebaut werden sollen, zeigt der Vorschlag der Einführung einer Europäischen Dienstleistungskarte. Ich möchte dazu ein Beispiel machen:

Stellen Sie sich vor, eine beliebige Person aus dem EU-Raum, die bisher als Buchhalter tätig war, stellt einen Antrag in der Bundesrepublik, um zukünftig als Arzt zu praktizieren. Die zuständige Behörde bei uns hat nun zwei Wochen Zeit zu prüfen, ob die Person überhaupt eine entsprechende Qualifikation besitzt. Schafft sie es nicht innerhalb von vier Wochen zu reagieren, bekommt die antragstellende Person eine ungeprüfte und unbegrenzt gültige Dienstleistungskarte, die sie berechtigt, hierzulande als Arzt tätig werden – auch ohne Medizinstudium.

Dieses Beispiel stammt nicht von mir, sondern vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. Dieser kritisiert das Dienstleistungspaket scharf und merken an: „Die Prüffrist ist in der Realität viel zu kurz. […] Es braucht nicht viel Phantasie, um abzusehen, dass in der Praxis viele Dienstleistungskarten genutzt würden, die ohne inhaltliche Prüfung durch das Aufnahmeland erteilt worden sind. […] Mit einer nicht überprüften Dienstleistungskarte kann jede beliebige Person – ohne jede Ausbildung – als Arzt, als Ingenieur oder als Unternehmer tätig werden.“ Was das bedeuten würde, kann man sich ausmalen.

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, hat die EU-Kommission die Herstellung des EU-Binnenmarktes vor allem unter dem Motiv des freien Wettbewerbes organisiert, ohne die Auswirkungen auf die Beschäftigten und Selbständigen zu berücksichtigen. Heimische Anbieter gerieten massiv unter Druck. Sozial- und Lohndumping wurden befördert. Die Folgen in Deutschland etwa im Baugewerbe, der Fleischindustrie, im Logistik- und Transportgewerbe, bei Sicherheitsdiensten und Pflegeberufen sind bekannt und werden seit Jahren von deutschen wie europäischen Gewerkschaften kritisiert. Durch Leiharbeit, Werk- und Honorarverträge oder Ausgründungen von beziehungsweise Beteiligung an Unternehmen in einem EU-Mitgliedsland hat zum Outsourcing ganzer Belegschaften in verschiedenen Dienstleistungsbranchen geführt und Schein-Selbstständigkeit gefördert. Probleme wie der organisierte Betrug bei der Überlassung von Dienstleistern in der EU, Veruntreuung oder das gezielte Vorenthalten von Löhnen und Honoraren ist bekannt. Dennoch werden diese Probleme nicht angegangen.

Die politische Abstinenz und das organisierte Versagen der EU und seiner Mitgliedstaaten befördert nicht die europäische Integration. Im Gegenteil. Angesichts des massiven Vertrauensverlustes der Menschen in die Institution der Europäischen Union ist es abenteuerlich, dass die EU-Kommission mit ihrem Dienstleistungspaket dem Missbrauch noch weiter Tor und Tür öffnen möchte – und dabei auch noch ihren eigenen Kompetenzrahmen überschreitet. Die im Dienstleistungspakets vorgesehene Einführung von Richtlinien zu einem Notifizierungsverfahren für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregeln, sowie zur Verhältnismäßigkeit von Berufsreglementierungen verlagert nationale Kompetenzen auf die Ebene der EU und widerspricht damit dem geltenden Grundsatz der Subsidiarität. Berufszulassung und Qualifikationsstandards sind primäres Vorrecht der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Es gleicht schon einem satirischen Akt, wenn der DGB in seiner Stellungnahme die EU-Kommission erinnern muss, dass es „in der Regel […] die Qualität von Produkten und Dienstleistungen [sichert], wenn die Gewährung des Berufszugang an die Voraussetzung einer bestimmten Qualifikation geknüpft wird“ und mahnt: „Durch die geplante Richtlinie wird es schwierig werden, Qualitätsstandards zu erhalten und neue zu setzen.“ Man könnte sich fast fragen, welche Qualifikation eigentlich an den Berufszugang der EU-Kommissare geknüpft ist, die solche Richtlinien erwägen.

Der massiven Kritik am jüngsten Dienstleistungspaket der EU-KOM können wir uns daher nur anschließen. Doch es reicht nicht, allein auf die Einhaltung europarechtlicher Bestimmungen zur Gewaltenteilung zu pochen. Diese sollten ohnehin selbstverständlich sein. Vielmehr zeigt das Dienstleistungspaket zum wiederholten Male die eklatanten Schwächen einer auf Konkurrenz aufbauenden Binnenmarktkonzepts, mit denen ein einiges, soziales Europas verhindert wird. Genau aus diesen Gründen schwindet der Rückhalt in der Bevölkerung für Europa. Für uns ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbstständigen kein Problem, solange damit nicht das Lohn- und Sozialdumping in den Mitgliedsstaaten gefördert wird. Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit haben für die Beschäftigten keinen Nutzen, solange hierüber Sozialstandards unterlaufen und ein Dumping bei Löhnen oder Honoraren möglich werden. Hier gilt es viel deutlicher gemeinsam und schnell zu handeln, damit die EU nicht gänzlich vor die Wand fährt und Beschäftigte wie Selbstständige gegeneinander ausgespielt werden.

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