Die Arbeitgeberverbände versuchen die Digitalisierung dazu benutzen, Arbeitnehmerschutzrechte zu schleifen – Schutzrechte, die den Beschäftigten Gesundheit, Freiräume und Freizeit sichern. Bei uns findet der Einsatz neuer Technik unter kapitalistischen Bedingungen statt. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber über den Einsatz von Beschäftigten und technischen Mitteln entscheidet. Die Interessen der Beschäftigten stehen denen der Arbeitgeber diametral gegenüber. Sie wünschen sich mehr Selbstbestimmung, Zeitsouveränität und Entlastung. Wenn sich die Interessen der Beschäftigten durchsetzen sollen, müssen die kollektiven und individuellen Rechte der abhängig Beschäftigten erweitert werden.
Meine Rede im Wortlaut:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Grünen gibt uns die Möglichkeit, wichtige Fragen im Zusammenhang mit Veränderungen in der Arbeitswelt zu diskutieren. Prinzipiell geht der Antrag in die richtige Richtung.
(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber natürlich nicht weit genug!)
Zu Herrn Lagosky: Ihr Beispiel von der Frau, die vier Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Abend arbeitet, passt nicht. Das hat mit Digitalisierung nichts zu tun. Solche Beispiele hat es immer schon gegeben. Wir müssen also aufpassen, dass wir nicht alle Ideen, die wir jetzt diskutieren, in Zusammenhang mit neuer Technik bringen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Vieles von dem, was wir fordern und diskutieren, ist ja gar nichts Neues. Aber trotzdem einige grundsätzliche Bemerkungen.
Worum geht es, wenn wir uns als Parlament hier über die Folgen der Digitalisierung unterhalten? Die Grundfragen, die sich stellen, sind: Wem kommen die Produktivitätsgewinne, die dabei entstehen, zugute? Wer bekommt sie?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Kommen diese Produktivitätsgewinne einseitig dem Unternehmen zugute, oder gelingt es uns, durch gesetzliche Regelungen dafür zu sorgen, dass auch die Beschäftigten, zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten, zum Beispiel durch mehr Bildungszeiten, davon profitieren? Profitiert vielleicht sogar die Gesellschaft davon, dass frei werdende Beschäftigte in den Bereichen eingesetzt werden können, wo wir sie brauchen, zum Beispiel im Pflege- oder Gesundheitsbereich? Das sind die Fragen, die uns beschäftigen müssen und mit denen wir uns hier auseinandersetzen müssen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD))
Meine Damen und Herren, der Einsatz von Technik findet bei uns unter kapitalistischen Bedingungen statt. Das kann man gut oder schlecht finden, aber so ist es. Das bedeutet, dass in erster Linie der Arbeitgeber darüber entscheidet, was eingesetzt wird und wie es eingesetzt wird. Dabei geht es natürlich um die Senkung von Kosten – das ist das Ziel -, sonst würde der Arbeitgeber es nicht machen.
Digitalisierung ist nichts anderes als ein weiteres Element, um den Produktionsprozess mit neuen technischen Möglichkeiten rationeller zu gestalten. Das Ziel der Arbeitgeber allerdings ist – jetzt wird es für uns, das Parlament, spannend -, dass sich die Beschäftigten an die technischen Möglichkeiten anpassen sollen, und leider nicht, wie es im Antrag der Grünen impliziert ist, dass Freiräume für die Beschäftigten geschaffen werden sollen. Das Ziel der Arbeitgeber ist etwas ganz anderes. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände:
Wichtig ist, dass die Flexibilität, die die Digitalisierung durch neue Arbeitsabläufe und neue Kommunikationsinstrumente mit sich bringt, nicht durch Regulierung behindert wird. Positive Wettbewerbs- und Beschäftigungseffekte können nur mit einem flexiblen Rahmen ausgeschöpft werden.
(Herbert Behrens (DIE LINKE): Hört! Hört!)
Damit ist klar, was sie wollen. Das bedeutet: Ausweitung der Wochenendarbeit, Ausweitung der Feiertagsarbeit, Abschaffung der gesetzlich geregelten Höchstarbeitszeit, Anpassung der Ruhezeiten an Betriebsabläufe, und Beschäftigte sollen auch kurzfristig von zu Hause abberufen werden, um ihre Arbeit verrichten zu können. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die absolute Unterordnung der Beschäftigten unter die Produktion. Das müssen wir verhindern und regeln.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD))
Die Interessen der Beschäftigten stehen denen der Arbeitgeber diametral gegenüber. Da will man von Teilzeit wieder in Vollzeit. Richtig. Da will man nach acht Stunden auch aufhören können, ohne durch entsprechenden Druck dazu gezwungen zu werden, länger zu arbeiten. Da will man Beginn und Ende der Arbeitszeit selbst definieren und sich nicht der Technik anpassen. Da will man – das ist sehr wichtig; hier bin ich wieder beim Kollegen Lagosky -, wenn man kleine Kinder hat, raus aus der Schichtarbeit und hin zur Normalschicht, damit man sich um die Kinder kümmern kann. Das alles gibt es momentan noch nicht. Dazu brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen, weil es sonst in der Praxis nicht dazu kommt.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt komme ich zu den Grünen. Das ist mir wichtig. Wenn man die Interessen der Beschäftigten durchsetzen will, muss man aufpassen, wenn man in den Antrag schreibt „sofern dem keine wichtigen betrieblichen Belange entgegenstehen“. Aus meiner langjährigen Praxis in Betrieben kann ich Ihnen sagen: Immer wenn dies formuliert wird, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Beschäftigten durchsetzen, weil der Arbeitgeber immer einen Punkt findet, dass dem betriebliche Interessen entgegenstehen. Wir brauchen daher einklagbare Rechte für die Beschäftigten. Darüber müssen wir reden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir können es aber nicht dem Arbeitgeber überlassen.
Meine Damen und Herren, Digitalisierung – da haben Sie Recht; das ist auch der Grundsatz – fordert mehr Schutzrechte für abhängig Beschäftigte. Es geht darum, das Direktionsrecht des Arbeitgebers, zu verfügen, wann, wie und wo was im Betrieb passiert, weiter einzuschränken. Dann müssen wir es aber auch tun und nicht nur appellieren. Auch die Bundesregierung muss in dieser Frage reagieren und nicht nur appellieren, weil sich sonst nichts ändert. Das ist ein wichtiger Punkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich stimme den Grünen in dem Aspekt zu, dass Arbeit zunehmend in rechtsfreien Räumen stattfindet. Sie haben über Vermittlungsplattformen gesprochen. Ja, aber wie können wir das regeln? Was passiert in diesen Vermittlungsplattformen? In rechtsfreien Räumen wird zunehmend Arbeit vermittelt von anonymen Organisationen, bei denen man sich um Aufträge bemüht, vollkommen unabhängig von den Fragen: Wie lange wird dort gearbeitet? Was wird für diese Aufträge bezahlt? Wir haben also eine Aushebelung geltender Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland durch den Fakt. Das ist nur ein Aspekt. Wie können wir das regeln? Wir müssen über die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer reden. Wenn jemand einen Menschen über eine Plattform vermittelt, wie Sie richtig sagen, ohne Sozialversicherung und ohne Absicherung: Ist er dann nicht ein Arbeitgeber? Ein Arbeitgeber in einem Betrieb macht auch nichts anderes. Jemand kommt, er beschäftigt ihn, er vermittelt ihm Arbeit. Der andere macht im Prinzip dasselbe.
(Zuruf des Abg. Kai Whittaker (CDU/CSU))
– Sie haben wirklich wenig Ahnung davon. Ich würde mich ein bisschen zurückhalten. Sie brüllen zwar dazwischen, aber Sie haben wirklich keine Ahnung.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Katja Mast (SPD) und des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Deshalb sage ich: Wir müssen den Begriff des Arbeitgebers neu regeln. Ist derjenige, der einen Menschen vermittelt, nicht Arbeitgeber? Müsste er dann nicht auch die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn er jemanden vermittelt?
(Beifall bei der LINKEN)
Das sind Aspekte, die wir in die weitere Beratung aufnehmen sollten. Ich freue mich darauf. Insofern ist der Antrag der Grünen durchaus hilfreich.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))