Rede zu Protokoll: Kritik am Dienstleistungspaket der EU
Rede zu Protokoll: Kritik am Dienstleistungspaket der EU

Rede zu Protokoll: Kritik am Dienstleistungspaket der EU

Wenn die Große Koalition ausnahmsweise mal etwas Richtiges macht – was selten genug vorkommt –, hat sie unsere Unterstützung. Bei der Kritik am EU-Dienstleistungspaket ist das der Fall. Das Paket ist Teil der Binnenmarktstrategie der Kommission vom Oktober 2015, in welcher die Kommission bereits Maßnahmen für einen Binnenmarkt ohne Grenzen für Dienstleistungen angekündigt hatte. Mit dem EU-Dienstleistungspakt möchte die Kommission die Notifizierung von Dienstleistungsberufen sowie die Verhältnismäßigkeit nationaler Regeln zur Berufszulassung verändern und eine Elektronische Europäische Dienstleistungskarte einführen. Das soll einer angeblich mangelnden Mobilität der Unternehmen und Beschäftigten auf dem Arbeits- und Dienstleistungsmarkt aufgrund von vorhandenen Reglementierungen entgegenwirken. Ich möchte diese drei Punkte kurz erläutern:

Die bestehende EU-Dienstleistungsrichtlinie regelt, dass bestimmte nationale Rechtsvorschriften zu Dienstleistungsberufen und qualitativen Anforderungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widersprechen dürfen und im Sinne des Allgemeininteresses begründet sein müssen. Neue oder geänderte Regelungen und Anforderungen zur Berufszulassung müssen der EU-Kommission mitgeteilt, das heißt notifiziert werden.

Nun will die Kommission, dass bereits Entwürfe von berufsreglementierenden Rechtsvorschriften spätestens drei Monate vor deren Erlass notifiziert werden. Darauf soll eine Konsultationsphase folgen. Bei Bedenken kann die Kommission die Stillhaltefrist um weitere drei Monate ausdehnen, in der das Gesetz oder die Vorschrift nicht erlassen werden dürfen. Die Kommission soll zudem das Recht bekommen, die Unvereinbarkeit des geplanten nationalen Rechtsakts mit der Dienstleistungsrichtlinie festzustellen und vom EU-Mitgliedstaat zu verlangen, von diesem Abstand zu nehmen. Gegen diesen Beschluss wiederum könnte der Mitgliedstaat vor dem Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage erheben. Wir sagen: Diese Regelungen würden die Entscheidungsfreiheit nationaler Gesetzgebung über die Maßen einschränken.

Das Gleiche gilt für den Richtlinien-Entwurf zur Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen. Dieser hat das Ziel, Kriterien festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten vor Erlass von einschränkenden Bestimmungen zum Zugang oder zur Ausübung reglementierter Berufe deren Verhältnismäßigkeit prüfen sollen.

Hier kritisieren wir erstens, dass die EU nicht zuständig ist. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten in eigener Regelungsbefugnis bestimmen können, welche Berufe auf welchem Niveau reglementiert werden.

Zweitens stößt die angestrebte Vereinheitlichung der Verfahren aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausbildungs-, Zulassungs- und Qualifikationsanforderungen an klare Grenzen. Etwa viele Handwerksberufe sind in Deutschland aus gutem Grund reglementiert. Bereits vollzogene Deregulierungen haben gezeigt, dass dies prekäre Soloselbstständigkeit befördert und sich in der Folge negativ auf Beschäftigung und Ausbildung auswirkt. Das wollen wir nicht.

Mit der Richtlinie zur Elektronischen Dienstleistungskarte sollen Dienstleistungsanbieter einen Ansprechpartner im Heimatland und in ihrer eigenen Sprache bekommen, bei dem sie die Dienstleistungskarte beantragen können. Diese soll die Niederlassung im Herkunftsland belegen und nachweisen, dass ihr Inhaber berechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung im Aufnahmeland auszuüben. Dafür prüft die Koordinierungsstelle im Herkunftsland den Antrag und die Dokumente und leitet sie dann an die Koordinierungsstelle im Aufnahmeland weiter. Letzteres bleibt formal zuständig für die Anwendung der nationalen Vorschriften und die Entscheidung, ob der Antragsteller in seinem Hoheitsgebiet überhaupt Dienstleistungen anbieten darf.

Laut Richtlinienentwurf hat allerdings die zuständige Behörde des Aufnahmestaates nur zwei Wochen Zeit, um den Antrag auf Zulassung als Dienstleister zu prüfen. Reagiert er nicht innerhalb von vier Wochen nach Übersendung des Antrags, stellt der Herkunftsstaat die Dienstleistungskarte aus, die laut Richtlinien-Entwurf unbegrenzt gültig sein soll. Das ist natürlich absurd! Die Prüf- und Einspruchsfristen im Aufnahmeland sind viel zu kurz. Dazu kommt, dass das Aufnahmeland schwerlich in der Lage sein wird, zu kontrollieren, ob die übermittelten Daten korrekt und aktuell sind – zumal der öffentliche Sektor in den EU-Mitgliedstaaten zusammengespart wurde und an Personalnot leidet. Die Dienstleistungskarte in der vorgeschlagenen Form wird Schmutzkonkurrenz und Scheinselbstständigkeit im Dienstleistungsbereich weiter befördern.

Der Bundestag hatte zusammen mit dem Bundesrat bereits eine Subsidiaritätsrüge zum EU-Dienstleistungspaket erhoben. Mit einem zweiten Entschließungsantrag bekräftigt die Große Koalition einige inhaltliche Kritikpunkte.

Die Kritik müsste jedoch tiefer gehen: Wer den europäischen Binnenmarkt mit den Freiheiten für Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu den größten Errungenschaften Europas zählt, ist in der Pflicht, das Funktionieren mit guten Regeln und gemeinsamen hohen Standards zu sichern. Ansonsten kommt es zu einer Abwärtsspirale bei Standards, Sozialabgaben und auch Steuern – das lehren uns nicht zuletzt die bisherigen Erfahrungen. Das bislang dominante Wettbewerbs- und Konkurrenzmotiv im Binnenmarkt hat über Vorschriften und Richtlinien einen Prozess des stetigen Sozial- und Lohndumping befördert, der heimische Anbieter von Dienstleistungen stark unter Druck gesetzt hat. Zugleich ist durch die massive Rückführung der öffentlichen Beschäftigung und den Abbau der Kapazitäten in den Behörden eine schnelle, sachliche Prüfung zur Aufdeckung von Verstößen gar nicht mehr möglich. Doch nur ein soziales Europa wird Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern haben.

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