Im Interview mit der Passauer Neuen Presse

Mit Genehmigung Passauer Neue Presse können Sie hier das Interview nachlesen, das am 21. Juli in der Passauer Neuen Presse erschienen ist.


Passau. Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter und von 2010 bis 2012 Vorsitzender der Linkspartei, springt im PNP-Gespräch seiner Parteikollegin Sahra Wagenknecht bei, die eine Abgehobenheit innerhalb der Partei kritisiert. Er betont zudem, dass es wichtigere Themen im Land gebe als die Diskussion um Gendersternchen.

PNP: Herr Ernst, in der Linkspartei sorgt das neue Buch von Sahra Wagenknecht für heftige Diskussionen. Sie wirft Teilen der Partei vor, zu abgehoben zu sein und sich nicht um das Kernklientel zu kümmern. Hat Wagenknecht recht?

Klaus Ernst: Ja, absolut. Natürlich muss sich eine linke Partei auch um Zuwanderung, Rassismus und Minderheiten kümmern. Die entscheidende Frage ist aber, ob der eigentliche Sinn der Linken im öffentlichen Auftreten noch ausreichend erkennbar ist. Die Linke muss die Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten sein. Das ist unser Kern. Der war zu wenig sichtbar. Das wollen wir in diesem Wahlkampf korrigieren. Es gibt drängende Fragen: Wie verbessern wir die Lage der Menschen, die nur einen Mindestlohn erhalten? Wie verhindern wir Altersarmut? Was tun wir gegen die explodierenden Mieten? Wie erhalten wir Arbeitsplätze in der ökologischen Umstellung der Industrie?

PNP: Es gibt auch Grabenkämpfe um die Person Sahra Wagenknecht. Teile der Linkspartei wollen sie aus der Partei ausschließen. Co-Parteichefin Janine Wissler will Wagenknecht dagegen mehr in den Wahlkampf einbeziehen. Auf
welcher Seite sind Sie?

Klaus Ernst: Selbstverständlich müssen wir Sahra Wagenknecht in den Wahlkampf einbeziehen. Sie ist Spitzenkandidatin in NRW. In ihren Auftritten gelingt es ihr, die wirklich wichtigen Themen verständlich darzustellen. Sie hält dabei zuweilen auch der eigenen Partei kritisch den Spiegel vor. Ein Beispiel: Ich habe zum Beispiel in meiner Schulzeit „Mohrenkopf“ gesagt, aber es nie in meinem Leben rassistisch verstanden. Bundesweit gibt es jetzt Initiativen, Mohrenapotheken umzubenennen. Der Name wäre rassistisch. Da schütteln Bürger verständlicherweise den Kopf. Es ist doch sehr viel wichtiger, sich um Arbeitsbedingungen und Löhne aller zu kümmern, eben auch um die von Dunkelhäutigen, weil die oft besonders benachteiligt sind. Dem Thema Rassismus muss man sich so annehmen, dass die Menschen uns noch verstehen und die Betroffenen wirklich was davon haben. Da hat Sahra Wagenknecht vollkommen recht.

PNP: Die Lufthansa hat vor einer Woche angekündigt, auf die Anrede „Damen und Herren“ zu verzichten.
Stattdessen sollen die Gäste jetzt genderneutral begrüßt werden.

Klaus Ernst: Wenn das unsere Probleme wären! Das Problem mit der Lufthansa ist, dass sie Milliarden staatlicher Hilfen ohne Auflagen erhalten hat, jetzt Beschäftigte aus dem Betrieb oder zu schlechter bezahlenden Tochtergesellschaften drängt. Nicht nur das Unternehmen, auch die Beschäftigten brauchen eine Perspektive. Die Leute fassen nicht mehr, um welche Themen wir uns in Deutschland kümmern. Viele können ihre Miete nicht mehr zahlen oder wissen nicht, ob sie in ihrem Betrieb die nächsten Monaten noch eine Beschäftigung haben. Und wir diskutieren Gendersternchen.

PNP: Anderes Thema: Frau Wagenknecht hat vergangene Woche bei Markus Lanz die Panikmache in der Corona-Krise heftig kritisiert, insbesondere den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Was ist Ihre Meinung dazu: Verbreiten Regierung und Experten zu viel Panik?

Klaus Ernst: Corona ist eine reale Gefahr. Die Krankenhäuser waren voll. Die Bilder aus Bergamo sind heute noch schockierend. Einige Entscheidungen waren allerdings absurd. Meine Toleranz war am Ende, als die Bundesregierung sich weigerte, eine Testpflicht in den Betrieben einzuführen, weil Arbeitgeberverbände sich dagegen wehrten. In ein Kaufhaus kam man ohne Test gar nicht rein. Warum aber in einen Betrieb, wo es oft nicht mal möglich ist, die Abstandsregeln einzuhalten? Dort waren dann auch die Infektionen. Es ist keine Körperverletzung, wenn ich mir für einen Corona-Test ein Stäbchen in die Nase stecke. Wer sich der Testpflicht entzogen hätte, wäre nicht in den Betrieb gekommen, hätte aber auch keinen Lohn bekommen. Es geht um die Gesundheit der Allgemeinheit. Aber prinzipiell hat Sahra Wagenknecht recht: Der Anteil der Geimpften steigt immer weiter, nicht nur Ältere sind inzwischen doppelt geimpft. Die Situation in den Krankenhäusern wird wichtiger als die Inzidenz. Da muss man nicht ständig mit Katastrophenszenarien durch die Welt rennen. Die Bürger verstehen das nicht mehr.

PNP: Die Linke kommt in bundesweiten Umfragen nicht über sieben oder acht Prozent hinaus. Bei der Bundestagswahl im Herbst peilen Sie ein zweistelliges Ergebnis an. Wie wollen Sie das noch erreichen?

Klaus Ernst: Wir müssen deutlich machen, dass wir Politik für die sogenannten einfachen Leute machen. Das sind alle, die für ihr Geld arbeiten müssen, Arbeiter, Angestellte, kleine Gewerbetreibende – das ist unser Kernklientel. Ein Beispiel ist die Rente: Wir wollen erreichen, dass wir deutlich höhere Renten bekommen. Wir fordern ein Rentenniveau von 52 Prozent und eine Mindestrente von 1200 Euro. Dass das geht, sieht man übrigens in Österreich. Da liegt das Rentenniveau bei 80 Prozent des Durchschnittseinkommens – da sind wir mit unserer Forderung noch weit drunter. Wir wollen eine bessere Bezahlung für die Beschäftigten im Gesundheitssystem, eine Ausweitung der Geltung von Tarifverträgen und die ökologische Wende so gestalten, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue entstehen.

Interview und Foto: Felix Flesch (PNP)