Rede: „TTIP-Verhandlungstexte ans Tageslicht und Verhandlungen stoppen“
Rede: „TTIP-Verhandlungstexte ans Tageslicht und Verhandlungen stoppen“

Rede: „TTIP-Verhandlungstexte ans Tageslicht und Verhandlungen stoppen“

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Pfeiffer, ich habe wahrgenommen ‑ das steht heute auch in der Frankfurter Rundschau ‑: Herr De Gucht hat den Regierungen Europas empfohlen, in dieser Debatte zurückhaltend zu sein. Auch ich kann Ihnen das nur empfehlen; sonst wird es nie etwas mit TTIP. Wenn Sie dazu reden, dann erweisen Sie sich eher einen Bärendienst.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Worum geht es in dieser Debatte? Es geht um eine Vereinheitlichung der Handelsräume von Europa, USA und Kanada. Es soll zu mehr Beschäftigung kommen. Ich kann jeden nur bitten, sich die entsprechenden Prognosen genau anzusehen.

(Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Sie haben es verstanden!)

Die Berechnungsgrundlage dafür, dass es zu 400 000 Beschäftigten mehr kommt, ist, dass USA und Kanada der EU beitreten ‑ was mit der Realität ja wohl nichts zu tun hat. Nichttarifäre Handelshemmnisse sollen abgebaut, und Regeln, die den Handel behindern, sollen beseitigt werden. Herr Gabriel hat bemerkenswerterweise davon gesprochen, es sei doch ganz schlimm, dass die Autos in Amerika rote Blinker hätten, die Autos in Deutschland dagegen gelbe. Bisher haben wir trotzdem Autos in Amerika verkauft und die Amerikaner bei uns. An der Farbe der Blinker scheitert es also nicht, ob man im jeweils anderen Land Autos verkauft. Übrigens: Wenn die Blinker schwarz wären, wäre es auch nicht so gut.

Ich kann nur sagen: Keiner ist dagegen, dass esda zu Angleichungen kommt. Es ist auch keiner dagegen, dass es einheitliche Stecker oder Ähnliches gibt. Aber können Sie mir die Frage beantworten: Warum sind die Verhandlungen über dieses Abkommen geheim, wenn es wirklich nur darum geht?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu dem, was ich eben angesprochen habe, sagt jeder: Das ist doch okay; das machen wir einfach. ‑ Dafür können wir übrigens auch durch Verhandlungen sorgen, die mit einem Investorenschutz überhaupt nichts zu tun haben.

Meine Damen und Herren, worum geht es wirklich? Warum erfährt die Öffentlichkeit nicht, was das Verhandlungsmandat eigentlich bedeutet? Warum ist es so, dass, wenn man derFrankfurter Rundschau von heute glaubt, nicht einmal die Bundesregierung ausreichend informiert ist, was in CETA, also dem Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada, steht, einem Abkommen, das die Blaupause für das Freihandelsabkommen mit den USA wird? Warum wird nicht einmal die Bundesregierung über den Verhandlungsstand informiert?

Die Frankfurter Rundschau beruft sich dabei auf geheime Dokumente des Wirtschaftsministeriums. Darin steht, so die FR:

Aus Sicht der Bundesregierung ist eine Übermittlung der endgültigen Textfassung ‑ das bezieht sich auf CETA ‑ an die EU-Mitgliedsstaaten überfällig. Wenn die Bundesregierung diesen Text hätte, dann bräuchte sie nicht um seine Übermittlung zu bitten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also, erzählen Sie doch nichts von Geheimhaltung, Herr Pfeiffer. Wollen Sie uns hier veräppeln? Lesen Sie doch wenigstens einmal die Presse! Dann wissen Sie, was in diesem Land los ist.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Besser Frankfurter Rundschau als Neues Deutschland!)

Das alles riecht langsam nach Skandal.

Die Europäische Union und die EU-Kommission sind kein Selbstzweck. Selbst die Frage, ob wir in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt mitreden dürfen, ob das, was diesem Parlament vorgelegt wird, hier entschieden wird oder nicht, ob die Bundesregierung mitzureden hat oder nicht, ist offen. Die Europäische Kommission geht zum Europäischen Gerichtshof, um klären zu lassen, ob die einzelnen Staaten überhaupt mitreden können, wenn das Abkommen fertig ist. Wo sind wir denn kurz vor der Europawahl? Die Europäische Union ist kein Selbstzweck, sondern muss den Bürgern dienen und darf nicht der Lobby einiger Großunternehmen erliegen!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Ihr kapiert das mit Europa nie! ‑ Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Wegen der Wahlen sitzen wir hier!)

In einer Veranstaltung mit Herrn Froman, Herrn De Gucht und unserem Wirtschaftsminister, die vor kurzem stattgefunden hat, hat eine Vertreterin einer NGO, Maritta Strasser, darauf hingewiesen, dass sie bereits 470 000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt habe.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Toll!)

– Ja. Toll. – Daraufhin hat Herr De Gucht mit einer Arroganz, die ich auch von Ihnen gerade wahrnehme, gefragt, was das soll. Er sagte, er verhandle für 500 Millionen Europäer. Recht so! Der Unterschied ist allerdings: Von den 500 Millionen Europäern hat er wahrscheinlich keinen einzigen gefragt. Die 470 000 Menschen, die gegen TTIP unterschrieben haben, wurden zuvor allerdings sehr wohl gefragt ‑ und sie haben recht!

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ohne zu wissen, worum es geht!)

Worum geht es in diesem Abkommen wirklich? Nicht um Chlorhühnchen. Das zu behaupten, ist doch ein Ablenkungsmanöver.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es geht darum, dass eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit gegründet werden soll. Durch diese Schiedsgerichtsbarkeit außerhalb aller rechtsstaatlichen Prinzipien sollen Unternehmen letztendlich die Möglichkeit haben, Staaten zu verklagen, ohne vor Gericht gehen zu müssen, wenn sie der Auffassung sind, dass nationale Gesetze die Rentabilität ihrer Investitionen behindern. Das ist der Kern von TTIP.

Heribert Prantl, nicht unbedingt verdächtigt, Mitglied meiner Partei zu sein, schreibt von einem internationalen Supergrundrecht, das geschaffen werden soll. Käme es dazu, würde das bedeuten ‑ ich zitiere Prantl ‑:

Die ungestörte Investitionsausübung ist gewährleistet. Kein Großinvestor darf gegen seine Interessen zum Umweltschutz, Kündigungsschutz, Datenschutz, Verbraucherschutz und zu sozialer Verantwortung gezwungen werden.

Darum geht es. Dass Sie da mitmachen, dass Sie sich selbst an der Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien beteiligen wollen, ist eigentlich unvorstellbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Prantl kommt zu dem Schluss:

Geld schlägt die demokratische Verfassung; das ist der Mechanismus dieses Investitionsschutzes.

Meine Damen und Herren, über die Klagen vor Privatgerichten werden letztendlich die Staaten zur Kasse gebeten, und darum geht es.

Es wird ja gesagt: Es soll ein Recht geben, das dafür sorgen kann, dass man als Investor nicht ungerecht behandelt wird. – Warum braucht man dann ein Geheimgericht? Warum geht man dann nicht zu einem ordentlichen Gericht? Oder vertrauen Sie der deutschen Gerichtsbarkeit nicht mehr?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Oder vertraut der Amerikaner der deutschen Gerichtsbarkeit nicht?

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Es gibt das doch heute schon: internationale Schiedsgerichtsverfahren!)

Oder vertrauen Sie den Amerikanern nicht?

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Internationale Schiedsgerichtsverfahren! Das ist doch nichts Neues!)

Auf Nichtvertrauen kann man keine Abkommen schließen. Deshalb brauchen wir diesen Unsinn nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Das haben wir seit Hunderten von Jahren!)

‑ Der Unterschied, mein Herr, ist der, dass es, als diese Schiedsverfahren eingeführt worden sind, um Staaten ging, in denen Investitionen tatsächlich unsicher waren. Es ging um den Schutz der Investoren vor Enteignung. Jetzt geht es darum, dass den Unternehmen, die das wollen, die Gewinne gesichert werden, egal wie sie investiert haben. Darum geht es. Schauen Sie sich die Verfahren an, die schon laufen!

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ja, ja, klar!)

Noch ein paar Bemerkungen zu den gleichen Standards. Herr Pfeiffer, wo leben Sie denn? Sie sagen: „Alles soll so bleiben, wie es ist; alles wird gegenseitig anerkannt“, deshalb frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass zum Beispiel in deutschen Kosmetika über 1 000 Stoffe verboten sind, während es in den Vereinigten Staaten nur 8 sind? Das haben übrigens die Amerikaner gesagt. Die hoffen, dass wir unsere Regelungen behalten, weil sie Angst haben, dass sie sonst ihre schlechten Regelungen nicht mehr wegbekommen. Das ist der Punkt!

Sie sagen: „Es wird nichts schlechter“, deshalb frage ich Sie: Sind Sie denn der Auffassung, dass Amerika zum Beispiel die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf, der ILO, als gleiche Grundlage für alle anerkennt? Ich habe im Wirtschaftsausschuss den amerikanischen Vertreter in den Verhandlungen gefragt, ob denn die USA bereit sind, die Grundstandards für Arbeit anzuerkennen. Darauf hat er geantwortet, das könne er sich überhaupt nicht vorstellen. Auf welcher Grundlage wollen wir denn vereinheitlichen? Das kann im Ergebnis, wenn man eins und eins zusammenzählt, nur schlechter werden.

Deshalb sage ich Ihnen: Die Geheimhaltung hat einen Sinn: Die Bürgerinnen und Bürger Europas sollen nicht merken, was Sie da eigentlich treiben. Deshalb ist eine Kernforderung: Veröffentlichung aller Papiere. Das richtet sich auch an den deutschen Minister, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Haben Sie schon mal ins Internet geguckt? – Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Die Papiere stehen alle im Internet!)

– Es geht nicht um das Internet. Ich möchte die offizielle Position zu dem, was da verhandelt wurde,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Also ordentliche Kopien?)

nicht irgendwelche Internetdinge.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ordentliche Kopien fordert der Herr!)

Ich sage Ihnen zum Schluss: So wie Sie das anlegen, mit der Geheimhalterei, die Sie verteidigen – vom Chlorhühnchen wollte ich gar nicht reden -, werden Sie dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas aufstehen und sich den Rechtsstaat von Ihnen nicht nehmen lassen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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