Es wird wieder gebaut!
Es wird wieder gebaut!

Es wird wieder gebaut!

Verbindungsschweißnaht über Wasser bei der Verlegung von Nord Stream 2
© Nord Stream 2 / Axel Schmidt

Die Nord Stream 2 AG hat die Arbeiten an der Pipeline wieder aufgenommen. Das Schiff Fortuna verlege einen 2,6 Kilometer langen Leitungsabschnitt in deutschen Küstengewässer, meldete das Unternehmen am 11. Dezember. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, als ein grimmiger Drohbrief aus den USA, adressiert an die Schweizer Firma Allseas, den Bau der Ostseepipeline jäh unterbrach. Die US-Senatoren Ted Cruz und Ron Johnson hatten dem Unternehmen mit der „Zerstörung seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit“ gedroht, sollten sie weiterhin ihre Rohrverlegeschiffe für Nord Stream 2 arbeiten lassen. Grundlage war ein frisch verabschiedetes Gesetz, mit dem sich die USA das Recht einräumten, über Europas Energiesicherheit zu entscheiden. Nord Stream 2 widerspreche dieser Sicherheit. Deshalb müssten alle Unternehmen, die sich am Bau der Leitung beteiligen, harte Sanktionen fürchten. Allseas zog sich zurück. Und weil deren Schiffe zu dem Zeitpunkt die einzigen waren, die die Leitung auf dem Ostseeboden installieren konnten, stand kurz vor dem Abschluss der Arbeiten – 160 Kilometer fehlten noch – auf der Baustelle erst einmal alles still.

Hintergrund: So funktionieren die US-Sanktionen

Auf der politischen Ebene begann dagegen ein Katz- und-Maus-Spiel, das bis heute andauert. Russland holte eigene Verlegeschiffe in die Ostsee und ließ sie dort für die Arbeit an Nord Stream 2 umbauen. Das brachte die kleine Stadt Sassnitz auf Rügen ins Fadenkreuz der Geopolitik, weil die drei US-Senatoren nun ihre Drohungen gegen die Hafenbehörde richteten, in der die Schiffe liegen. Deren Gesellschafter ist die Stadt Sassnitz, vertreten durch ihren Bürgermeister Frank Kracht. Damit stand erstmals ein gewählter Vertreter einer deutschen Körperschaft konkret vor der Gefahr, dass er und seine Mitarbeiter/innen von Sanktionen der USA betroffen sein könnten – ein bisher einmaliger Vorgang. Wenn sonst Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängt werden, dann gegen solche, die als Autokrat/innen oder Kriegsverbrecher angesehen werden, aber bestimmt nicht gegen Vertreter/innen eines befreundeten Staates oder Mitarbeitende von Firmen, die in Europa ihren legalen Geschäften nachgehen.

Diese Eskalation im Streit um Nord Stream 2 hat auch ihr Gutes: In seltener Einigkeit erklärten die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses im Deutschen Bundestag, dass Deutschland sich gegen die US-Sanktionen zur Wehr setzen müsse. Auf meine Initiative wurde der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Wirtschaftsausschuss eingeladen, wodurch das Thema in die Öffentlichkeit kam. Auf europäischer Ebene unterzeichneten fast alle Mitgliedsstaaten eine Protestnote, in der sie die unerhörte Einmischung der USA in innereuropäische Angelegenheiten verurteilten und Widerstand ankündigten. Der Außenbeauftrage der EU, Josep Borrell, erklärte, allein die EU bestimme über die Regeln, denen Energieunternehmen auf ihrem Territorium unterlägen. Die Sanktionsdrohungen der USA seien „inakzeptabel und gegen internationales Recht“ und die EU werde einen eigenen Sanktionsmechanismus erarbeiten, um gegen Sanktionsdrohungen von Drittstaaten widerstandsfähiger zu werden. Solche deutlichen Worte hatte es gegenüber früheren Versuchen der USA, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu behindern, nicht gegeben.

Kein Einlenken in Sicht

Inzwischen haben die USA ihre Sanktionsgesetzgebung immerhin so weit entschärft, dass Sanktionen gegen Vertreter öffentlicher Institutionen befreundeter Länder ausgeschlossen sind. Frank Kracht kann also aufatmen. Er kann seine Kreditkarten weiter benutzen und die Partnerstadt von Sassnitz, Port Washington im Norden der USA, weiter besuchen. Der Kampf der USA gegen die Gasleitung hält dagegen unvermindert an. Zuletzt hatte sich der norwegische Versicherer der Verlegeschiffe zurückgezogen, weil er ebenfalls Drohungen erhalten hatte. Die finanziell an Nord Stream 2 beteiligten Gasunternehmen berichten von Videokonferenzen mit den US-Senatoren, in denen ebenfalls Sanktionen angekündigt wurden für den Fall, dass sie sich nicht aus dem Pipelineprojekt zurückziehen. Robin S. Quinville, die aktuell in der US-Botschaft die Amtsgeschäfte führt, erklärte im Handelsblatt: „Jetzt ist der Zeitpunkt für Deutschland und die EU, ein Moratorium für den Bau der Pipeline zu verhängen“. Ihr habe ich wegen dieser Äußerungen einen Offenen Brief geschrieben, der hier nachgelesen werden kann. Der Druck auf die Unternehmen, die für Nord Stream 2 arbeiten, finanziell daran beteiligt sind oder sonstwie zur Inbetriebnahme der Pipeline beitragen, besteht also unvermindert fort. Selbst wenn die Leitung endlich in Betrieb genommen ist, bleiben die Sanktionsdrohungen gefährlich. Schließlich können die USA auch die Gaslieferungen aus Russland als „Gefährdung der europäischen Energiesicherheit“ deklarieren und die beteiligten Unternehmen in den Ruin zu treiben versuchen.

Das Schlimme ist: Diese Politik ist in den USA parteiübergreifend akzeptiert und wird sich unter Joe Biden voraussichtlich nicht groß ändern. Viele US-Politiker/innen, Republikaner wie Demokraten, folgen dem Argument, Erdgaslieferungen aus Russland würden Europa in eine fatale Abhängigkeit von Putins Regime verstricken und obendrein den eurasischen Staat mit Geld für seine Kriegstreibereien versorgen. Dazu kommt, dass die Öl- und Gasindustrie in den USA traditionell politisch sehr stark ist und zum Beispiel Ted Cruz, dessen Heimatstaat Texas stark vom Fracking lebt, sich deren Interessen zu eigen macht. So verbindet sich historische Kalte-Kriegs-Rhetorik mit handfesten wirtschaftlichen Interessen. Eine Opposition gegen die Bestrebungen, Nord Stream 2 mittels Sanktionen zu verhindern, gibt es kaum.

Deshalb müssen wir uns in Europa endlich Instrumente zulegen, mit denen wir diese Einmischung der USA in unsere Angelegenheiten verhindern können. Ich stehe dazu mit Wissenschaftler/innen und Kolleg/innen aus anderen europäischen Parlamenten im Austausch. Grundsätzlich haben wir mehrere Möglichkeiten:

Strafzölle auf Fracking-Gas oder sogar ein Einfuhrverbot wären ein schlagkräftiges Mittel, da die US-amerikanische Gasindustrie die Sanktionspolitik wesentlich befeuert. Allein Ted Cruz hat in den vergangenen Jahren von texanischen Gasfirmen Millionen für seine Wahlkämpfe erhalten. Auch persönliche Sanktionen zum Beispiel gegen jene Senatoren, die die aggressive Sanktionspolitik besonders stark vorantreiben, sind eine Möglichkeit.

Parallel müssen wir die bedrohten Unternehmen so gut schützen, dass sie ihre Geschäfte mit und um Nord Stream 2 nicht aufgeben. Denn dass sie das tun, wenn die USA bei ihren Drohungen bleiben, ist sehr wahrscheinlich. Der internationale Zahlungsverkehr wird in US-Dollar abgewickelt, so gut wie jede europäische Bank ist darauf angewiesen, ebenso Versicherungskonzerne und jede Firma mit internationalem Geschäft. Allein deswegen ist die Ankündigung der drei US-Senatoren, die Sanktionen könnten „die finanzielle Lebensfähigkeit Ihres Unternehmens zerstören“, ernst zu nehmen. Deshalb muss die EU ein Zahlungssystem etablieren, das unabhängig vom US-Dollar internationale Zahlungen abwickelt. Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits. Wenn das funktioniert, würde ein Großteil der US-Sanktionen ins Leere laufen.

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