Wie konsequent die Bundesregierung im vorliegenden Jahreswirtschaftsbericht gravierende Fehlentwicklungen einfach ignoriert, ist schon erstaunlich! In keinem Euro-Land ist der Reichtum so ungerecht verteilt wie in Deutschland. Auch dieses Jahr sollen die Gewinne wieder stärker steigen als die Einkommen. Aber die Bundesregierung unternimmt nichts, um dieser Entwicklung entgegen zu treten. Und statt den Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen das notwendige Geld schnell zur Verfügung zu stellen, verschärft diese Bundesregierung mit der schwarzen Null die Probleme. Es wundert nicht, dass der Staat letztes Jahr sogar weniger investiert hat und die Infrastruktur weiter verfällt.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister, lieber Sigmar, in einem Punkt bin ich mit dir einer Meinung
(Zurufe von der SPD: Oh!)
– ja, in einem Punkt -: Das ist tatsächlich ein starkes Land. Es bewältigt Probleme und sorgt dafür, dass Flüchtlinge vernünftig aufgenommen und betreut werden. Es gibt aber einen großen Unterschied: Dieses Land ist handlungsfähig; aber bei dieser Regierung habe ich inzwischen gravierende Zweifel, was die Handlungsfähigkeit in dieser Frage betrifft.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Da will ich gleich einmal auf die Flüchtlingskrise eingehen; du hast sie angesprochen, Sigmar. In der Regierung gibt es eine Bandbreite der Diskussion, die von der Forderung aus Bayern, die Grenzen zu schließen, bis hin zur Willkommenskultur reicht. Die Kanzlerin wird von der eigenen Fraktion angesägt; leider ist sie nicht mehr da.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Doch!)
– Ihr wisst doch selber, was ihr macht. Tut doch nicht so! – Da ihr in dieser Situation die Kanzlerin ansägt und wir als Opposition sie auch noch verteidigen müssen, stellt sich die Frage: Wen hättet ihr denn als Alternative? Da ist doch weit und breit niemand vorhanden. Deshalb bin ich froh, dass Frau Merkel Kanzlerin ist und nicht jemand von euch; das will ich mit aller Klarheit sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Da machen Sie sich mal keine Sorgen!)
Der Jahreswirtschaftsbericht ist verständlicherweise nichts anderes als ein Selbstlob; daran kann man nichts ändern. Aber dass man gravierende Fehlentwicklungen nicht einmal anspricht, ist wirklich ein Problem. 62 der reichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, besitzen so viel wie die Hälfte der Menschheit. Eine unglaubliche Zahl! In keinem Euro-Land ist der Reichtum so ungerecht verteilt wie in Deutschland.
(Max Straubinger (CDU/CSU): Ach komm!)
– Sich der Realität zu verweigern, ist bei euch nichts Neues. – Ich will euch eine Zahl nennen. Die Schweizer Bank UBS hat veröffentlicht, dass in Deutschland allein im Jahre 2014 das Vermögen derjenigen, die 30 Millionen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 Milliarden US-Dollar gestiegen ist.
(Max Straubinger (CDU/CSU): Seit 1. Januar ist es um 10 Prozent gefallen!)
Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Staatshaushalts der Bundesrepublik.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Da ist sicherlich der Putin dabei!)
Wie gesagt, es geht hier um den Zuwachs und nicht um das Vermögen selber. Zwei Drittel des Staatshaushalts der Bundesrepublik könnten diese reichen Menschen alleine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen.
Im letzten Jahreswirtschaftsbericht heißt es – ich habe das nachgelesen :
Nach Auffassung der Bundesregierung lassen sich effizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung in der sozialen Marktwirtschaft nicht trennen.
Ja, einverstanden! Aber dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht kann ich entnehmen, dass die Löhne weiterhin langsamer wachsen als die Gewinne. Die Schere wird also weiter auseinandergehen. Was ich schlichtweg vermisse, ist irgendeine Initiative, die dazu dient, die ungerechte Verteilung in dieser Republik anzugehen. Da macht die Bundesregierung nichts. Das ist Arbeitsverweigerung.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Was könnten Sie tun? Sie könnten die Leiharbeit und die Werkverträge vernünftig regeln. Aber was tun Sie? Sie legen ein Gesetz vor, das weit hinter den Anforderungen zurückbleibt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieses unzureichende Gesetz wird von der Kanzlerin dann auch noch angeschossen. So kann man das Problem nicht lösen.
Welche Möglichkeit hätten Sie noch? Sie könnten die Vermögen vernünftig besteuern. Aber auch das machen Sie nicht. Vielmehr schonen Sie die Vermögen der Reichen. Sie belassen es bei der ungleichen Verteilung. Damit haben Sie auch nicht das Geld, das dringend notwendig wäre, um die Flüchtlingskrise so anzugehen, wie es angemessen wäre, nämlich mit mehr Wohnungen und einer vernünftigen Ausstattung der Kommunen, die mittlerweile nicht mehr wissen, wie sie das alles finanzieren sollen. Aber nein! Die Arbeitsverweigerung dieser Regierung ist unerträglich.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiteres Thema, bei dem Sie sich weigern, es anzugehen, sind die Bruttoanlageinvestitionen. Sie reden dauernd von notwendigen Investitionen. Schaut man aber Ihr eigenes Zahlenwerk an, Herr Gabriel, lieber Sigmar, dann stelle ich fest, dass die Investitionen des Staates im Jahre 2015 im Vergleich zu 2014 um 2,1 Prozent gesunken sind. Sie sind also nicht mehr, sondern weniger geworden. Wo bitte schön ist da die Investitionsinitiative? Wir wissen, dass jährlich 100 Milliarden Euro fehlen, um die Infrastruktur – Brücken, Straßen, Schulhäuser – in Ordnung zu bringen. Wir brauchen genügend Geld für Kindergärten. Aber die Investitionen gehen zurück. Solange ihr die Reichen schont und die schwarze Null wie eine Monstranz vor euch hertragt, euch hinter ihr versammelt und euch an den Händen haltet, so lange wird das Problem nicht gelöst werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, weil er so aktuell ist, betrifft die bislang nicht angesprochenen Handelsabkommen. Nun dürfen wir Abgeordnete in einem Leseraum im Wirtschaftsministerium nachschauen, was über unsere Köpfe hinweg zwischen EU und den Amerikanern vereinbart wurde. Tolle Sache! Wenn man sich genau anschaut, wie das laufen soll, dann haut es einem den Vogel hinaus. Frau Malmström hat im Wirtschaftsausschuss gesagt, es sei ein Bonbon für die Abgeordneten der nationalen Parlamente, dass sie die Unterlagen überhaupt ansehen dürften. Die Abgeordneten haben eigentlich nichts zu melden. Schließlich verhandelt die Europäische Union mit den Amerikanern. Dass wir die Unterlagen überhaupt ansehen dürfen, ist sozusagen ein Entgegenkommen. Dass die amerikanischen Abgeordneten mehr Rechte haben, einen tieferen Einblick nehmen, ihre Mitarbeiter mitnehmen und darüber diskutieren können, was in den Abkommen steht, liegt daran, dass diese in die Verhandlungen einbezogen sind. Bei uns ist es ein Entgegenkommen, und deshalb sind die Regelungen für uns anders.
An welcher Stelle sind jetzt die Regelungen anders? Die Unterlagen sind ausschließlich in Englisch, man muss sein Handy abgeben, offensichtlich ist ein Sicherheitsbeamter dabei, der einem über die Schulter schaut. Es wird registriert, was man anguckt; es gibt auch keine Papiere, sondern alles kann nur am Computer angesehen werden, meine Damen und Herren. Selbstverständlich ist alles geheim, und man darf nichts sagen. Die Geheimhaltung bei diesen Abkommen wird nicht verändert. Die Bürgerinnen und Bürger werden nach wie vor ausgeschlossen, meine Damen und Herren.
Der Hammer ist, dass selbst die Regelungen, die jetzt beschlossen wurden und unter denen wir Abgeordnete uns die Papiere ansehen dürfen, zur Geheimhaltungssache erklärt wurden. Auch darüber dürfen wir nicht sprechen. Ja, meine Damen und Herren, wo leben wir denn eigentlich?
Ich kann sagen: Ich weiß nicht, ob ich das so auf mir sitzen lasse, ob ich nicht tatsächlich darüber informiere, welche Regelungen die Abgeordneten zu beachten haben, wenn sie das einsehen. Das hat mit Geheimhaltung nichts mehr zu tun. Das gehört an die Öffentlichkeit; denn da geht es nicht um die Inhalte von irgendwelchen Verhandlungen, sondern da geht es darum, wie die Abgeordneten gegängelt werden, sodass sie diese Sache nicht ordentlich behandeln können.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))